Hegel behauptet mithin für die Art der intersubjektiven Begegnung, die er hier als notwendige Bedingung des Selbstbewusstseins inszeniert, eine strikte Form von Reziprozität: Beide Subjekte müssen wechselseitig in dem Augenblick, in dem sie sich begegnen, gegenüber sich selbst eine Negation vollziehen, die in der Abstandnahme vom jeweils Eigenen besteht. Ergänzen wir diesen Gedanken noch um Kants Bestimmung der „Achtung“, in der er einen „Abbruch“, eine Negation der „Selbstliebe“ sehen wollte, so tritt wohl zum ersten Mal zutage, was Hegel mit seiner Einführung des intersubjektiven Verhältnisses behaupten wollte:
In der Begegnung zwischen zwei Subjekten eröffnet sich insofern eine neue Handlungssphäre, als beide wechselseitig genötigt werden, einen Akt der Beschränkung ihrer selbstsüchtigen Begierde zu vollziehen, sobald sie des Anderen ansichtig geworden sind. Im Unterschied zur Handlungsform der Bedürfnisbefriedigung, in der die lebendige Wirklichkeit letztlich unverändert blieb, vollzieht sich in der Interaktion spontan eine Zustandsveränderung an beiden Beteiligten des Handlungsgeschehens: Ego und Alter Ego reagieren aufeinander, indem sie ihre eigene egozentrische Begierde jeweils so beschränken oder negieren, dass sie sich ohne die Absicht bloßer Konsumtion begegnen können. (…)

Es ist der selbsteinschränkende Akt von Alter Ego, an dem Ego gleichsam vor sich die Art von Aktivität beobachten kann, durch die es selbst in diesem Augenblick in jenem Anderen die praktische Veränderung bewirkt. Beide Subjekte nehmen reziprok am jeweiligen Gegenüber die negative Tätigkeit wahr, mit der sie eine Wirklichkeit erzeugen, die sie als ihr eigenes Produkt begreifen können. (…)

Nur in der moralischen Selbstbeschränkung des Anderen können wir die Aktivität erkennen, in der unser Selbst in der Weise tätig ist, dass es instantan an der Welt eine nachhaltige Veränderung bewirkt, ja eine neue Wirklichkeit erzeugt.

Axel Honneth · Das Ich im Wir